Lernen ist Handarbeit: „Oh, ich kann ja doch ein Pferd.“

Julia von Randow ist Diplom-Grafikdesignerin (UDK) und seit 2008 stellvertretende Leiterin der sieben Schulen im Lette Verein Berlin. Sie brennt für die Handwerklichkeit, die im Lette Verein einen großen Stellenwert einnimmt. Wer sie dieser Tage beobachtet, kommt zu dem eindeutigen Schluss: „Sie denkt mit dem Stift. Ja. Sie denkt eindeutig mit dem Stift!“ Wie ist das zu verstehen?

 

 

JvR: Das ist ganz einfach. Das mit der Hand gemachte verknüpft sich optimal mit unserem Gehirn. Lernen ist Handarbeit. Wenn ich einen Stift in die Hand nehme und einen Lernprozess auf ein Flipchart oder eine Tafel schreibe, bleibt es langfristig in Erinnerung. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Es ist anders als das Schreiben am Computer. Tasten tippen hinterlässt keine Spuren im Gehirn. Das mit der Hand geschriebene verstetigt sich. Und wenn ich mich dabei noch bewege und aufstehe, um durch den Raum zum Flipchart zu gehen wird die Vernetzung der Synapsen im Gehirn weiter begünstigt.

Warum ist die Visualisierung im Schulkontext wichtig?

Visualisierung auf Flipcharts hilft beim Lernen. Sie ist handgemacht und partizipativ. Alle machen mit. Alle können gleichzeitig den Entstehungsprozess erleben und auf Charts sukzessiv verfolgen. Es ermutigt darüber hinaus unsere Schüler*innen, selbst den Stift in die Hand zu nehmen. Sie lernen „Schreib-Denken“. Mit der Visualisierung lässt sich die Gleichzeitigkeit komplexer Zusammenhänge darstellen. Eine Powerpoint-Präsentation hingegen ist immer linear und sie behauptet, dass alles genau so ist, wie es da steht. Das gedruckte Wort hat den Anspruch von Wahrheit. Darum glauben die Menschen häufig auch den größten Quatsch, den sie im Internet lesen, weil es da in Druckbuchstaben auf einer Website steht.

Die Visualisierung arbeitet viel mit Bildern und Symbolen. Das klingt nach einer Vereinfachung von komplexen Sachverhalten.

 

 

Ja, diese Koplexitätsreduktion schafft Kohärenz im Gehirn. Damit wird Lernen auf die beste Art angeregt. Komplexe Sachverhalte werden verständlich gemacht. Das ist dann wieder das „Denken mit dem Stift“, eine individuelle Kulturtechnik, die gut lesbar und verständlich über Symbole und Metaphern komplexe Sachverhalte im Gehirn verankert. Und jeder kennt es: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist das Foto von Willy Brandt und seinem Kniefall von Warschau von 1970.

Handgemachte Visualisierung spricht gegen den Trend der zunehmenden Digitalisierung.

Die Wahrheit liegt – wie immer – irgendwo in der Mitte. Beides hat seine Berechtigung und die Arbeit mit Stift und Flip-Chart hat einen immensen Vorteil: Ich bin von technischen Geräten unabhängig. Kein Strom. Kein Computer. Kein Beamer. Erst wenn das Flipchart fertig ist, kommt das Digitale: Unsere Schüler*innen machen ein Smartphone-Foto, um es später wieder aufrufen zu können. Ein wirklich gelungener Zufall ist, dass Smartphones in der Regel das gleiche Format haben, wie so eine Seite vom Flipchart.

 

Als Grafikdesignerin haben Sie sicher schon immer mit der Hand den Unterricht dokumentiert.

Ich liebe Tafelbilder! Das ist etwas ganz wunderbares. Einziger Nachteil ist, dass man es nicht einfach zusammenrollen kann. Das Chart kann ich in der nächsten Stunde wieder herausholen.

Ihren Kolleg*innen – auch aus der Verwaltung – können bei Ihnen die Visualisierungstechnik lernen. Wie kommt das an?

Ich hatte einen Probekurs im Lette Verein für eine ausgewählte Gruppe von Abteilungsleitungen. Danach hat sich herumgesprochen, dass es Spaß macht und leicht umzusetzen ist. Seitdem haben schon mindestens 50 Personen das Visualisieren bei mir hier im Haus gelernt. Die Lehrkräfte wenden es in allen Abteilungen im Unterricht an. Im Matheunterricht, im Berufsqualifizierenden Lehrgang oder auch in unseren Willkommensklassen. Wenn dort Rezepte ausprobiert werden, wird visualisiert. Die meisten Kolleg*innen sagen vor der Schulung „Oh. Ich kann ja gar nicht zeichnen.“ Am Ende sind sie erstaunt, dass sie es doch können. Der schönste Satz in diesem Zusammenhang war: „Nee. Ich kann kein Pferd. (zwei Stunden später) … Oh! Ich kann ja doch ein Pferd.“ Man lernt, es macht Spaß, ist lustvoll und die Ergebnisse sind ansehnlich. Was will man mehr?

Offizielle Pressemitteilung zum Thema Visualisierung im LetteVereinBerlin

Sie möchten, dass  Julia von Randow Ihnen das Visualisieren beibringt?
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Eine Liebe – Viele Visualisierungen

 

 

 

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